Aktive Unterstützung für in Not geratene ältere Menschen
in Neustadt an der Weinstraße

WOCHENBLATT im Gespräch mit Dietgard Klingberg

Es ist wohl noch nicht überall bekannt: Seit fast einem Jahr gibt es in Neustadt den Verein „Wir gegen Altersarmut“. Gegründet hat ihn die Neustadterin Dietgard Klingberg. Die promovierte Juristin stammt ursprünglich aus Bremen, bevor es sie in die schöne Pfalz verschlagen hat.

Im Gespräch mit Markus Pacher erläutert sie das Konzept des Vereins und warum sich viele Betroffene davor scheuen, um Hilfe zu bitten.



Wochenblatt: Wie entstand die Idee, in Neustadt einen Verein gegen Altersarmut zu gründen?
Dietgard Klingberg: Das geschah während einer Autofahrt. Im Radio verfolgte ich ein Interview mit dem Landauer Verein „Silberstreif – gegen Altersarmut“. Das hat mein Interesse geweckt und ich nahm Kontakt mit der 1. Vorsitzenden Christine Baumann auf. Aus meinem Freundeskreis sprach ich dann einige Leute an, die sich spontan bereit erklärten, mit mir auch für Neustadt einen Verein gegen Altersarmut zu gründen. Am 15. August wird unser Verein nun ein Jahr alt.

Wochenblatt: Wie war die bisherige Resonanz auf ihr Angebot?
Dietgard Klingberg: Zunächst haben wir unseren Verein überall vorgestellt, unter anderem viele Gespräche mit für unsere Arbeit relevanten Einrichtungen geführt und ein entsprechendes Netzwerk aufgebaut. Dazu zählen Neustadter Institutionen, Organisationen oder Vereine wie der Zonta-Club, Caritas, Pflegestützpunkt Gemeindeschwester plus, Lichtblick etc. und die Kirchen. Eine engere Kooperation verbindet uns mit dem Verein „Silberstreif“ in Landau. Unsere anfängliche Durststrecke haben wir zwischenzeitlich offensichtlich überwunden. Mittlerweile scheint sich herumgesprochen zu haben, dass es uns gibt. So hat insbesondere in den letzten Wochen unser Projekt an Fahrt gewonnen. Ein wenig mag es damit zusammenhängen, dass die Stadt Neustadt zwischenzeitlich jedem Bescheid zur Grundsicherung einen Flyer von uns beifügt. Aber es ist für viele Leute aufgrund ihrer Scham nicht einfach, sich zu öffnen und um Unterstützung zu bitten. Wir versuchen, diesen Menschen zu helfen, ihre verständliche Scheu zu überwinden und Hemmschwellen abzubauen.

Wochenblatt: Erläutern Sie bitte etwas genauer das Konzept ihres Vereins.
Dietgard Klingberg: Wir können kein Riesen-Portfolio anbieten, sondern versuchen, dort zu helfen, wo andere nicht helfen können. Unsere Unterstützung beruht vor allem auf Sachleistungen und richtet sich an bedürftige Neustadterinnen und Neustadter ab 65 Jahren, die einen Bescheid über die Grundsicherung vorlegen können. Die Leute sollen uns besuchen und uns sagen, das oder jenes brauche ich dringend, kann es mir aber nicht leisten. Mitglieder unseres Teams besuchen dann die Wohnung der betroffenen Person, verschaffen sich einen Einblick in die Situation und besorgen zum Beispiel Ersatz für ein defektes Haushaltsgerät. Unter anderem hilft uns der Media-Markt bei der Wahl des passenden Gerätes. Zum Beispiel eines, das technisch einfach zu handhaben ist, da ältere Menschen sich mit neuen Sachen oftmals überfordert fühlen. Diese Geräte bekommen wir dann zu einem Bestpreis angeboten.

Wochenblatt: Wie viele Menschen in Neustadt leiden unter Altersarmut und wie oft wird ihre Beratungsstelle aufgesucht?
Dietgard Klingberg: In Neustadt dürften etwa 500 Mitbürger/innen von Altersarmut betroffen sen. Pro Woche bekommen wir zu Zeit etwa zwei Anfragen. Unser Team steht montags im Mehrgenerationenhaus zur Beratung bereit, aber wir beobachten, dass viele bedürftige Senioreninnen und Senioren sich offensichtlich nicht trauen, uns aufzusuchen.

Wochenblatt: Was kann man tun, um Altersarmut vorzubeugen?
Dietgard Klingberg: Am besten frühzeitig Geld zurücklegen. Aber das sagt sich so einfach. Wir sagen uns: Wenn unser Staat die notwendige Hilfe nicht leisten kann, ist bürgerschaftliches Engagement eine Möglichkeit. Dabei schwebt uns für die Zukunft vor, die Teilhabe der Betroffenen am gesellschaftlichen Leben stärker in den Fokus unserer Arbeit zu rücken, indem wir schauen, was die Leute brauchen. Das kann zum Beispiel auch mal eine Einladung zum Konzert oder die Beschaffung eines Bahntickets sein.

Wochenblatt: Ihren Erläuterungen zufolge erfolgt ihre Hilfe rasch und unbürokratisch?
Dietgard Klingberg: Das kann man so sagen, aber natürlich fallen auch administrative Arbeiten, wie das Ausfüllen der Antragsformulare oder die Überprüfung der Unterlagen zur Berechtigung an. Aber die Abwicklung selbst geschieht sehr schnell: Wir besuchen die Betroffenen oft noch an demselben Tag, an dem sie uns kontaktieren und bestellen unmittelbar danach das gewünschte Produkt. Und dann halten unsere Beraterinnen weiterhin den Kontakt zu den Betroffenen, indem sie bei ihnen auch danach ab und zu vorbeischauen.

Wochenblatt: Wie entsteht Altersarmut und wer ist davon betroffen?
Dietgard Klingberg: In den meisten Fällen haben wir es mit Frauen zu tun – das hängt oftmals mit der Erwerbsbiographie zusammen. Und grundsätzlich ist das Rentenniveau in Deutschland nicht so hoch, um entspannt leben zu können. Von selbstverschuldeter Altersarmut brauchen wir nicht zu reden. Wir fragen auch nicht, wie die Leute in die Situation geraten sind.

Wochenblatt: Hat sich das Problem mit der Altersarmut in den letzten Jahren verschärft?
Dietgard Klingberg: Die Prognosen der Bertelsmann-Stiftung zu diesem Thema haben sich nicht nur bewahrheitet, sondern fallen noch schlimmer als erwartet aus. Momentan geht eine noch größere Generation in Rente. Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten, angefangen mit den Mietpreisen. Unser Sozialversicherungssystem ist dafür nicht gerüstet.